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Der Scherbensammler auf Niederländisch: De schervenverzamelaar | ||
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Es war, als hätte sie sich ein Nest in ihrem Körper gebaut. Als säße sie darin versteckt, sicher und geborgen, während draußen ihr Körper weiter funktionierte. Dunkel war es hier drinnen. Warm. Weich. Sie hatte keinen Hunger und keinen Durst, empfand keine Schmerzen und keine Traurigkeit. Irgendwer hatte die Kontrolle übernommen. Das war beruhigend. Irgendwer fühlte sich immer verantwortlich. Sie ließen sie nicht im Stich. Zusammengekauert in ihrer Höhle, schloss sie die Augen und horchte auf die Stille. Für eine Weile war alles gut.... Überall war Blut. Auf dem Boden. An der Wand. An ihren Schuhen. Ihren Kleidern. Entsetzt starrte sie ihre Hände an. Rot. Klebrig. Es ließ sich nicht abreiben. Sie versuchte es trotzdem. Fuhr wieder und wieder über ihre Jeans. Bis ihr die Hände brannten. Ein Fenster. Sie musste ein Fenster öffnen! Mühsam rappelte sie sich auf. Jeder Knochen im Leib tat ihr weh. Tief atmen. Sauerstoff in die Lungen schaffen. Kraft sammeln. Und Mut. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war und warum sie in diesem Zimmer auf dem Boden gekauert hatte. Vor allem aber wusste sie nicht, woher das Blut kam. All das rote, glitschige Blut. Ihr war schwindlig. Sie stützte sich an der Wand ab, bemerkte entsetzt, dass sie schwache rote Abdrücke auf der weißen Tapete hinterließ. Stöhnend setzte sie einen Fuß vor den andern und folgte dem Licht, das sie zu einem Fenster führen musste. Vielleicht war das ein Traum. Und sie steckte darin fest. In einem seltsam eindrücklichen Traum, der ihr vorgaukelte, dies hier sei die Wirklichkeit. Sie konnte fühlen, hören, Farben sehen. Waren Träume farbig? Oder nur schwarzweiß? Hastig riss sie das Fenster auf. Nahm wahr, dass eine Pflanze zu Boden fiel und der Übertopf mit einem Knall in Scherben ging. Und dann lehnte sie sich hinaus und sog gierig die frische Luft ein.... Sie kannte diese Wohnung nicht. Sie hatte keine Ahnung, wie sie hergekommen war. Sie drehte sich um. Eine Küche. Dampfschwaden hingen in der Luft. Auf dem Herd stand ein Kessel mit kochendem Wasser. Anscheinend schon eine ganze Weile. Nicht mehr lange, und er würde anbrennen und mit der Herdplatte verschmelzen. War denn niemand hier? Sie ging hin und drehte den Schalter. Er klackte leise und sie zuckte bei dem Geräusch zusammen. „Ruhig“, flüsterte sie. „Ganz ruhig.“ Es nützte nichts. Ihre Nerven lagen bloß. Irgendwie musste sie hier raus. Sie konnte nicht in all dem Blut hocken bleiben und abwarten, was geschehen würde. Schritt für Schritt näherte sie sich der Tür. Ihre Nackenhaare sträubten sich. Die Härchen an ihren Unterarmen stellten sich auf. Sie spürte die Gänsehaut, die sie überrieselte, sogar im Gesicht. Es kostete sie alle Kraft, sich vorzubeugen und einen Blick in den Flur zu werfen. Hellgrauer Teppichboden, weiße Wände. Und Blut. Fast meinte sie, es riechen zu können. Und schmecken. Es schien in ihre Nasenlöcher eingedrungen zu sein und sich von da aus in ihrem ganzen Körper auszubreiten. Rote Abdrücke auf den Wänden. Rote Fußspuren auf dem Teppichboden. Drei Türen. Alle standen offen. An allen musste sie vorbei. Um rauszukommen. Raus! Sie schluckte. Trocken. Schmerzhaft. Versuchte, sich zu räuspern, um sich mit ihrer Stimme Mut zu machen. Aber kein Laut kam aus ihrer Kehle. Und dann tat sie den ersten Schritt. |
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Der Scherbensammler auf Niederländisch: De schervenverzamelaar | |
Het was alsof ze in haar binnenste een nest gebouwd had. Alsof ze daarin
verstopt zat, veilig en geborgen, terwijl buiten haar lichaam verder
functioneerde. Donker was het daarbinnen. Warm. Zacht. Ze had geen honger en
geen dorst, voeld geen pijn en geen droefheid. Iemand had de controle overgenomen. Dat was geruststellend. Iemand voeld zich altijd verantwoordelijk. Ze lieten haar niet in de steek. In elkaar gedoken in haar hol slot ze haar ogen en luisterde naar de stilte. En heel even was alles goed. |
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